Parallelträger [3]

[37] Parallelträger , graphische Berechnung.

Die Gurtungskräfte eines Parallelträgers bestimmt man in der graphischen Statik nach dem Momentenverfahren (s.d.): Man teilt das dem Drehpunkte (s.d.) entsprechende Biegungsmoment durch die Entfernung des Stabes vom Drehpunkte. Da diese Entfernungen für die Gurtungen eines Parallelträgers konstant gleich der Trägerhöhe sind, so folgt, daß die Gurtungskräfte den Biegungsmomenten proportional werden. Die kleinsten Gurtungskräfte entstehen, wenn der Träger unbelastet ist, die größten bei vollständiger Belastung. (Vgl. Balken, einfache, und Fachwerk.) Die Kräfte in den Streben bestimmt man aus dem Gleichgewicht der vertikalen Komponenten der am Fachwerkteil links vom Schnitt wirkenden Kräfte. Es muß dann die vertikale Komponente der Strebenkraft der Querkraft gleich sein und entgegengesetzt wirken. Die Strebenkräfte sind infolgedessen den Querkräften proportional und ergeben sich durch Zerlegung der Querkraft in zwei Seitenkräfte, die parallel der Gurtung und der Strebe sind. Die Grenzwerte der Strebenkräfte treten bei einseitiger Belastung des Trägers ein. Bei lotrechten Streben (Pfosten, Ständer) ist die Strebenkraft einfach gleich der Querkraft für das durchschnittene Feld. Sämtliche Stabkräfte infolge ständiger Last können auch durch einen Cremonaschen Kräfteplan gefunden werden. Der Gang der Berechnung wird am besten an einigen Beispielen erläutert.

a) Parallelträger mit einfachem Strebenzug.

1. Beispiel einer Eisenbahnbrücke: Die Spannweite betrage 32 m, die theoretische Höhe (Entfernung der Gurtungsschwerpunkte) 4 m, die Fachlänge 4 m (Fig. 1). Die Eigengewichtsbelastung sei für jede Tragwand g = 1,1 t : m. Dann ist das Biegungsmoment für Eigengewicht M = 1/8 g l2 = 1/8 · 1,1 · 322 = 140,8 mt und die diesem Momente entsprechende Gurtungskraft gleich M : h = 140,8 : 4 = 35,2 t. Man zeichnet oberhalb des Fachwerks eine Parabel mit der Scheitelhöhe 35,2 t und daran anschließend eine die Parabel umhüllende Staffellinie, so stellen die Ordinaten dieser Linie die kleinsten Kräfte der oberen Gurtung dar. Eine gleiche Parabel mit ein geschriebener Staffellinie wird unterhalb gezeichnet; sie liefert die kleinsten Kräfte der unteren Gurtung.

Die zufällige Belastung bestehe aus drei fünfachsigen Lokomotiven mit 52 t Gewicht bei 11 m Länge (s. Fig. 1 rechts oben). Will man den Einfluß dieser Belastung genau bestimmen, so setzt man die Radgewichte der drei Lokomotiven zu einem Seileck (s. Seilpolygon) zusammen, bestimmt durch Verschieben der Schlußlinie[37] für die vier Posten einer Trägerhälfte die größten Momentenordinaten und fügt sie an die Eigengewichtsordinaten an. Meißens begnügt man sich indessen damit, auch die zufällige Last als eine gleichförmig verteilte anzusehen und diese dann so zu wählen, daß sie in der Balkenmitte das nämliche Biegungsmoment wie die gegebenen Einzellasten hervorruft. In unserm Falle ist dieser Belastungsgleichwert (Aequivalenzwert) p = 2,5 t : m. Die Gurtungskraft ergibt sich hiernach in der Mitte gleich 1/8 · 2,5 · 322 : 4 = 80 t. Man fügt diese Kraft an die Eigengewichtskraft an, zeichnet wieder zwei Parabeln und die entsprechenden Staffellinien, so sind auch die größten Gurtungskräfte gefunden.

Um die größten und kleinsten Strebenkräfte zu finden, zeichnet man zunächst (Fig. 1, unten) eine schiefe Linie A' B', deren Endordinaten 1/2g l = 17,6 t sind; sie Hellt die Querkräfte infolge Eigengewichts dar. Sodann trägt man die Radgewichte der drei Lokomotiven in umgekehrter Stellung als Kräfte auf, zeichnet für die 15 Kräfte ein Krafteck mit der Polweite l und darauf gestützt das Seileck A'' B; dann stellt dieses die größten Querkräfte der zufälligen Last dar.

Die größte Kraft in einer schiefen Strebe tritt ein, wenn der Bahnzug vorgeschoben wird, bis das erste Rad am benachbarten Pfosten steht. (Für die zweite Strebe ist diese Stellung eingezeichnet.) Die entsprechende Querkraft für Eigengewicht findet man jetzt lotrecht unter der Strebenmitte, diejenige für zufällige Last lotrecht unter dem ersten Rad. Die Summe beider Kräfte wird parallel zu Gurtung und Strebe zerlegt. Führt man diese Arbeit für sämtliche Felder durch, so bekommt man acht Kräfte; davon stellen 1–4 die größten und 8–5 die kleinsten Kräfte der vier ersten Streben dar. Die beiden Grenzwerte haben in den drei ersten Streben gleiches, in der vierten dagegen entgegengesetztes Zeichen; will man den in der vierten Strebe auftretenden Wechsel von Zug und Druck vermeiden, so muß man in den beiden Mittelfeldern Gegenstreben anbringen. Die Kraft 5 stellt dann die größte Kraft in der Gegenstrebe dar; die kleinsten Kräfte in den sich kreuzenden Streben sind wie gewöhnlich Null. In der Nähe des Auflagers kann der Fall eintreten, daß die Strebenkraft etwas größer wird, wenn man den Bahnzug so weit vorschiebt, bis das zweite Rad am Pfosten steht. Um diese Frage zu prüfen, bildet man im Krafteck aus der ersten Kraft und der Feldlänge f ein rechtwinkliges Dreieck und zieht durch den Punkt des Seilecks A'' B, der um den Abstand a der beiden ersten Räder links vom Pfosten liegt, eine Parallele zur Hypotenuse. Diese Parallele zeigt, um wieviel die Querkraft durch das Vorschieben zunimmt. In unserm Beispiele ist diese Ergänzung für die beiden ersten Streben vorzunehmen. Die Kräfte in den Pfosten findet man bei obenliegender Fahrbahn dadurch, daß man die Kräfte der benachbarten Streben wagerecht und senkrecht zerlegt und von der senkrechten Seitenkraft das Eigengewicht eines unteren Knotenpunktes abzieht. Ist letzteres beispielsweise gleich 1/4g f, so kann man die gesuchte Kraft um 1/4 f links vom Pfosten unmittelbar abgreifen. Für den dritten Pfosten ist die Kraft in der Figur eingezeichnet und mit 3' bezeichnet. Bei untenliegender Fahrbahn denkt man sich die Kräfte der schiefen Streben in den oberen Knotenpunkten zerlegt und fügt zu den lotrechten Komponenten je das Gewicht eines oberen Knotenpunktes hinzu; in diesem Falle kann man die gesuchte Kraft um 1/4 rechts vom betreffenden Pfosten abgreifen. Die größte Kraft im Auflagerpfosten ist gleich dem Auflagerdruck A' A'', vermindert um das Gewicht des unteren Knotenpunktes.

2. Beispiel einer Straßenbrücke. Bei Straßenbrücken wird die zufällige Last gleichförmig verteilt angenommen (Menschengedränge). Die Gurtungskräfte werden in diesem Falle wie oben (Fig. 1) bestimmt. Man berechnet die kleinste Kraft in der Mitte der Spannweite nach der Formel 1/8g l2 : h und die größte nach der Formel 1/8q l2 : h, worin q = g + p; dann zeichnet man mit diesen zwei Werten die vier Parabeln und die entsprechenden Staffellinien. Um die Strebenkräfte zu finden, zeichnet man wieder die Gerade A' B' und die Kurve A'' B (Fig. 2). Letztere wird hier zur Parabel; ihre Endordinate ist 1/2p l. Soll die Kraft in einer Strebe, beispielsweise die in der dritten, möglichst groß werden, so muß die zufällige Last nicht nur bis zum benachbarten Pfosten, sondern bis zur Belastungsgrenze C vorrücken. Diese Grenze wird dadurch gefunden, daß man im Fachwerk die Linie A1 B zieht; die schraffierte Fläche kann dann als die Einflußfläche der Strebe D1 E angesehen werden. Aus geometrischen Gründen verhält sich

C E : E B = D C : A D = D C + C E : A D + E B = D E : A BD E = 1 : n – 1,

wenn n die Felderzahl bedeutet. Durch das Vorschieben der Belastung bis zum Grenzpunkte C wird daher die Querkraft noch um 1 : n – 1 vergrößert. In unserm Falle ist n = 8; wir erhalten somit die Querkraft der zufälligen Last, wenn wir die Ordinate Q lotrecht unter dem Pfosten um ein Siebtel vergrößern. Im übrigen geht man wie oben vor; die Querkraft für Eigengewicht findet man lotrecht unter der Feldmitte; die Summe beider Querkräfte wird parallel zu Strebe und Gurtung zerlegt. Für die dritte Strebe ist diese Zeichnung in Fig. 2 ausgeführt. Die Kräfte in den Pfosten werden ganz so, wie es beim ersten Beispiel gezeigt worden, bestimmt.

b) Andre Formen von Parallelträgern.

1. Parallelträger mit Pfosten und gekreuzten Streben (Fig. 3) sind so vielfach statisch unbestimmt, als Felder vorhanden sind. Die genaue Berechnung nach der Theorie der statisch unbestimmten Fachwerke wäre sehr umständlich, deshalb begnügt man sich für die[38] Praxis mit der folgenden Näherungsmethode: Man zerlegt das System in zwei einfache statisch bestimmte Systeme und setzt voraus, daß die beiden Einzelsysteme sich bei jedem Belastungsfall gleich in die Lastaufnahme teilen. Dadurch folgt zunächst, daß in jedem Feld die Diagonalen gleich, aber entgegengesetzt beansprucht sind, und zwar sind die Stabkräfte und ihre Grenzwerte in den Streben jeweils die Hälfte der beim einfachen Parallelträger vorhandenen Kräfte. Führt man sodann durch ein Feld einen Schnitt, so folgt weiterhin aus der Horizontalkomponentengleichung für die am linken abgeschnittenen Trägerteil wirkenden Kräfte, daß die Obergurtkraft gleich, aber entgegengesetzt der Untergurtkraft ist, weil die horizontalen Komponenten der beiden Strebenkräfte sich aufheben. Hieraus ergibt sich dann weiter, daß die Gurtungskräfte aus dem Schnittmoment in bezug auf den Diagonalenkreuzungspunkt zu berechnen sind. Aus dieser Bedingung lassen sich die Einflußlinien der Gurtungskräfte zeichnen, die bei Lastenzügen angezeigt sind. Für gleichförmige Belastung sind die Gurtungskräfte durch die in Fig. 3 gezeichnete Staffellinie dargestellt, wobei die horizontalen Strecken jeweils durch die Mitten der einzelnen Seiten des Momentenpolygons gezogen sind. Die Pfosten sind bei obenliegender Fahrbahn mit der halben oberen Knotenlast gedrückt, bei untenliegender Fahrbahn mit der halben unteren Knotenlast gezogen. Die Endpfosten sind gedrückt mit dem halben Auflagerwiderstand, abzüglich der Knotenlast am Auflager.

2. Auch bei den zweiteiligen Ständerfachwerken (Fig. 4) kann man sich das doppelte Fachwerk in zwei einfache zerlegt denken und jedem von ihnen die Hälfte der Belastung zuteilen. Dem Gurtungsstabe U V z.B. entspricht für den einen Strebenzug der Drehpunkt D, für den andern der Punkt D'. Das Mittel aus den Momentenordinaten dieser beiden Punkte ergibt die Kraft in U V. Auf Grund dieser Betrachtungsweise gelangt man leicht zu den beiden Staffellinien für obere und untere Gurtung. Was die Streben betrifft, so werden ihre Kräfte wie in den Fig. 1 und 2 bestimmt und halbiert. Bei Eisenbahnbrücken sind jedenfalls Einflußlinien angezeigt, die bei den Parallelträgern doppelten Systems, nach dem beim Art. Einflußlinien (s.d.) angegebenen Verfahren konstruiert, sehr genaue Resultate geben.

3. Parallelträger mit Zwischenstreben (Fig. 5) sind als Fachwerke mit einfachem Strebenzug anzusehen, zu denen noch kleine Hängewerke hinzutreten. Die unteren Gurtungen sowie die Pfosten und die unteren Strebenhälften werden durch diese Aenderung nicht beeinflußt. Die Kräfte in den oberen Gurtungen werden größer als früher, und zwar findet man die Vergrößerung, indem man den Zwischenpfosten möglichst stark belastet (mit Lokomotiv- bezw. Wagenrädern) und für das Hängewerk einen kleinen Cremonaschen Kräfteplan (s.d.) zeichnet. Zugleich bekommt man hierbei die im Zwischenpfosten und in der Zwischenstrebe auftretenden Kräfte; sie sind auf der ganzen Spannweite dieselben. Die Kräfte in den oberen Strebenhälften endlich berechnet man nach dem gewöhnlichen Verfahren, nur mit dein Unterschied, daß die halbe Pfostenentfernung als Fachlänge angenommen wird.


Literatur: Culmann, Graph. Statik, Zürich 1866; Ritter, A., Elementare Theorie und Berechnung eiserner Dach- und Brückenkonstruktionen, Hannover 1873; Tetmajer, Aeußere und innere Kräfte, Zürich 1875, Winkler, Theorie der Brücken, 2. Heft, Wien 1881; Müller-Breslau, Die graphische Statik der Baukonstruktionen, Bd. 1, Stuttgart 1905; Schäffer und Sonne, Handbuch des Brückenbaus, Bd. 2, Leipzig 1888/90; Ritter, W., Anwendungen der graphischen Statik, 2. Teil, Zürich 1890.

Mörsch.

Fig. 1.
Fig. 1.
Fig. 2.
Fig. 2.
Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Fig. 3., Fig. 4., Fig. 5.
Quelle:
Lueger, Otto: Lexikon der gesamten Technik und ihrer Hilfswissenschaften, Bd. 7 Stuttgart, Leipzig 1909., S. 37-39.
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